Zum Hauptinhalt springen

Mein Umfeld und ich – ADHS im Alltag

ADHS wirkt sich nie nur auf die eigene Person aus – es zieht immer Kreise ins Umfeld. Ehefrau, Kinder, Familie, Freunde, Kolleginnen und Kollegen: Sie alle erleben meine Eigenheiten mit. Mal schmunzelnd, mal genervt – aber oft mittendrin.

ADHS bedeutet: viele Gedanken gleichzeitig, Impulsivität, manchmal totaler Fokus, manchmal das Gegenteil. Und es wirkt weit über die eigene Person hinaus. Beziehungen, Freundschaften und am Arbeitsplatz – überall spielt es eine Rolle. Damit betrifft es auch die Menschen, die Zeit mit mir verbringen.

Mein soziales Sicherheitsnetz

Die Menschen, die mir am nächsten stehen, sind gleichzeitig am meisten betroffen. Sie erleben meine Eigenheiten hautnah: spontane Ideen, plötzliche Richtungswechsel, Vergesslichkeit oder Unsicherheit. Das kann anstrengend sein – und trotzdem sind es genau diese Menschen, die mir den Rücken freihalten. Ohne ihr Verständnis würde vieles nicht funktionieren.

Ich erinnere mich bildhaft an jene Momente, in denen ich meiner Frau und den beiden Söhnen wieder einmal von einem neuen Hobby erzählte. «Ah, schön – und wie lange dieses Mal?», war die oft gehörte Reaktion. Und ja, die Frage war berechtigt. Meistens verlor ich das Interesse, sobald die Herausforderung fehlte – oder das Hobby plötzlich trendy wurde.

Warum auch immer: Ich entdeckte neue Hobbys oft schon, bevor sie zum Trend wurden. Fotografieren, Drohnenfliegen, Campen, Wandern, Goa-Partys – alles Leidenschaften, die später boomten. Meine Frau sagt nicht umsonst, ich sei ein Trend-Scout.

Farbige Zeichnung eines Wohnmobils.
Ob dieses Bild den Kunstmarkt revolutionieren wird? Meine farbige Zeichnung eines Wohnmobils. 😂

Wie wichtig sind mir Freundschaften?

Meine Freunde und Kolleg:innen denken wahrscheinlich manchmal, dass sie mir egal sind. Und sie hätten sogar Grund, so zu empfinden. Aber: Sie sind mir nicht egal! Sobald ich sie sehe und Zeit mit ihnen verbringe, merke ich, wie wichtig sie mir sind.

Trotzdem bin ich nie derjenige, der anruft oder etwas abmacht. Schon der Gedanke, ein Telefonat zu führen oder eine Verabredung festzulegen, ist für mich nahezu unmöglich. Meine Frau hat längst aufgehört, zu hoffen, dass ich einmal ein Treffen organisiere.

Erst mit meiner ADHS-Spätdiagnose habe ich verstanden, warum das so ist. Vorher fühlte ich mich wie ein Alien, das Angst hat, mit Erdlingen in Kontakt zu treten.

Ich bin nicht respektlos

Eine wichtige Lektion nach der Diagnose: Reden hilft (und auch Schreiben – wie in diesem Blog). Wenn Menschen verstehen, dass Ablenkung oder Vergesslichkeit nichts mit Desinteresse oder Respektlosigkeit zu tun haben, verändert das die Dynamik. Klare Absprachen, offene Worte und eine Portion Humor erleichtern vieles.

Natürlich darf ADHS nicht als Ausrede herhalten – das wäre der falsche Weg. Ich benötige keine Ausrede: Mein Gehirn nimmt Reize anders wahr, filtert weniger und wird dadurch oft überflutet.

Heute geht, was ich früher oft vermied

Die Reizüberflutung war der Hauptgrund, weshalb ich unübersichtliche Situationen oft mied. Einkaufszentren? Ein Graus. Gut besuchte Lokale? Lieber nicht. Wo viele Menschen auf engem Raum zusammenkamen, hielt ich mich fern. Obwohl ich früher gern und oft in den Ausgang ging, benötigte ich meistens Hilfsmittel – entweder ein Umfeld, das ich gut kannte oder aber Alkohol und manchmal auch andere Stimulanzien.

Heute fällt es mir leichter. Das Bewusstsein, das ich dank der Diagnose habe, hilft mir – und zusätzlich ein ADHS-Medikament, das mich vor Reizüberflutungen schützt und mich auf das Wesentliche fokussieren lässt. Wie ich es früher ohne geschafft habe, ist mir heute ein Rätsel.

Zuerst: «Ja, aber …» – später Masking

Früher habe ich mich ständig erklärt oder gerechtfertigt. Mein damaliger Stiefvater nannte mich «Ja-aber», weil ich bei Missverständnissen oft mit diesen Worten begann. Doch zu einer Erklärung kam es selten – sie wurde schlicht nicht gehört.

Eines Tages hatte ich es satt, mich ständig erklären zu müssen. Stattdessen begann ich zu maskieren – sogenanntes Masking. Ich zeigte meinem Gegenüber die Reaktion, die in dieser Situation von mir erwartet wurde. Auch wenn sie oft im Widerspruch zu meinem Inneren stand.

Dankbar für gute Mitmenschen

Heute sehe ich vieles anders: Ich bin, was ich bin – eine Person mit ADHS. Und wenn mich jemand so akzeptiert, bin ich dankbar. Wenn nicht – auch egal. Mit People-Pleasing möchte ich aufhören (oder es zumindest versuchen).

Am meisten dankbar bin ich für Menschen, die nicht nur mit meinen Eigenheiten umgehen, sondern auch das Gute darin sehen. Und das gibt es reichlich: den Hyperfokus, das Out-of-the-box-Denken, Kreativität, Humor, Gerechtigkeitssinn und Einfühlungsvermögen. Nichts davon möchte ich missen!

ADHS ist kein Soloprogramm

ADHS ist Teil meines Lebens – und damit auch Teil des Lebens der Menschen um mich herum. Gemeinsam wird es leichter, bunter und manchmal sogar witziger.

Vielleicht erkennst du dich – oder jemanden in deinem Umfeld – wieder. Und vielleicht hilft dir mein Blickwinkel, mit etwas mehr Verständnis auf vergangene oder künftige Situationen zu schauen. Wenn du darüber sprechen möchtest, freue ich mich auf deine Nachricht.

Schreiben hält mich im Gleichgewicht – und hilft mir, mein ADHS besser zu verstehen. Wenn dir meine Texte gefallen, unterstütze mich gern auf Ko-fi. Jeder Kaffee zählt. ☕️

Tagged



Zum Thema passende Artikel

© Dargolix

🍪 Cookies

Dargolix.com nutzt Cookies, um das Nutzungserlebnis auf der Website zu personalisieren.

Weitere Informationen unter: Datenschutzerklärung.